Sonntag, 10. August 2014

FKA twigs sonst ändert sich nix

Hier der Raiders of the Seven Seas Directors Cut meines FKA twigs Textes aus der nun, gemäß des wöchentlichen Tonus aus den Kiosken verschwundenen Ausgabe von Der Freitag. Die Grafik verliebte sich in eine Großaufnahme der Hauptdarstellerin und so mussten ein paar kleine Dialoge dran glauben. Kritik und Publikum werden beim Vergleich die Entscheidung nachvollziehen, besserer Rhythmus und klarere Struktur. Aber für die Sammler, dann nicht erst nach 30 Jahren, die ursprüngliche Version. - Nein im Ernst, wer die Printversion verpasst hat, mag vielleicht hier nachlesen. Das schöne Photo gab es aber nur in der gedruckten Ausgabe.




Stiller Schreien





Sie kam wie aus dem Nichts. Eine dieser Musikdateien, von Freund zu Freund verlinkt, nett, kurzweilig, meist schnell vergessen. Doch hier lag der Fall anders, das „Hide“ betitelte Stück blieb mit seiner seltsam stillen Tragik in Erinnerung. Oder was war es, das die helle, junge Stimme der Sängerin namens Twigs mitteilen wollte? Euphorie gar? Den Gesang begleitete ein metronomischer Takt, der am Ende des Stücks im mechanischen Klackern eines Uhrwerks erstirbt, dessen Federwerk die letzte Spannung entweicht.



Unsere flüchtigen Pop-Phänomene entstehen heute fern der Printmedien, im Stille Post Prinzip. Das Flüstern verstärkte ein Video: Zwei halbnahe Einstellungen auf einen sehr schlanken nackten Körper von Bauchnabel bis Knie vor rotem Hintergrund. Der Körper in schwarz weiß, das Geschlecht verdeckt von einer signalroten Flamingoblume, ein Spiel mit den Assoziationen des schildförmigen Hochblatts und des aufragenden Blütenstands.


Über die Künstlerin war nichts zu erfahren, derweil drei weitere Stücke, nebst künstlerisch reduzierter Videos erschienen. Dann sah man die Britin im Herbst 2012 auf dem Cover des immer noch trendgebenden i-D Magazins, als eines von mehreren hoffnungsvollen Gesichtern der „just Kids“ Ausgabe. Kids, die bald vergessen sein werden? Längst regiert routinierter Zynismus die Pop-Wahrnehmung, stets geht man davon aus, dass etwas nur clever lanciert wurde. Doch von wem? Twigs vier Stücke erschienen als Privatpressung auf Vinyl. Und worunter sollte diese Musik verortet werden? Man einigte sich auf R&B mit diversen Zusätzen: „Dark“, „Alternative“ oder gar „Gothic“.



Als wäre all das nicht verwirrend genug, musste sich Twigs im letzten Jahr, nach der Beschwerde einer gleichnamigen Band, umbenennen. Als „FKA [formerly known as] twigs“ veröffentlicht sie nun in diesen Tagen ihr Debütalbum. Dieser Anlass führt sie nach Berlin, um der deutschen Presse erste Interviews zu geben. Die 1988 als Tahliah Barnett Geborene wirkt dabei fern von Star-Ambitionen, eher wie jemand, der etwas anders tickt, der Kraft und Glück hatte, sich nicht verbiegen zu lassen. Trotz ihrer Liebe für auffällige Looks, ein zurückhaltender Mensch und so bald mit dem Image des Stubenhockers versehen: „Die Medien verpassen dir gerne ein Image, so entstand das Bild der Introvertierten. Ich bin Einzelkind und war das einzige mixed race Mädchen in der Schule. Beides verstärkte, dass ich mich eher mit mir selbst beschäftigte, statt mich an etwas zu hängen, bei dem man sich am Ende doch nur schlecht fühlt.“



Die zentrale Figur des Pop ist der Aussenseiter, wir haben dies nur zusehends vergessen. Insbesondere, wenn so ein Aussenseiter kein Feindbild artikuliert. Den Eltern etwa dankt FKA twigs. Guter Ton, besonders im heutigen R&B mit seinen Strebertypen. Doch wenn man ihr zuhört, versteht man. Keine engagierten Antreiber, die den Tagesplan ihres zukünftigen Karrieristen durchplanten, sondern Eltern, die Freiräume liessen, Selbstbewusstsein vermittelten und die erträumte klassische Tanzausbildung ermöglichten: „Ich verstand durch das Tanzen, dass in einem Stück alles möglich ist, man kann plötzlich das Tempo variieren oder die Sounds, man ist frei, muss nicht allen Details des Songs folgen. Das gab mir einen anderen Blick auf die Grenzen, an die sich so vieles in der Popmusik hält.“



Nicht oft vermag ein Künstler sein Tun so genau zu erklären. Doch in ihrem physischen Verstehen der Musik, erkennt man die langsamen, gar nicht so eingängige Stücke. Vertonter Tanz, nicht Tanzmusik, sondern die beweglichen Skulpturen des Ballets, zurück in Musik überführt. Klingende Charaden. In der damit gestifteten Verwirrung lagen Assoziationen zur jungen Kate Bush nah. Erst kürzlich, in Sendungen zu Alfred Biolkes 80. Geburtstag, konnte man wieder jenen Moment erleben, als die 19 jährige Kate anno 1978 in „Bios Bahnhof“ exzentrisch tanzend „Wuthering Heights“ vortrug und eine Weltkarriere begründete. Doch FKA twigs wird wohl nie, wie kürzlich Bush, 22 Shows im Londoner Hammersmith Apollo innerhalb von 15 Minuten ausverkaufen, sie ist auch kein musikalisches Wunderkind. Da ist etwas anderes was sie ausmacht, gestischer vielleicht. Ihre Teenager-Helden waren die „New Romantics“ der frühen 80er. Jene Clubkultur, mit der Ex-Punks einen extrem artifizellen Glam schufen, mal spielerisch wie Adam & the Ants, oft düster wie Visage, doch stets bemüht, möglichen Festlegungen zu entkommen. Hier assoziiert sich FKA twigs: „Die New Romantics konnten heute so, morgen so stylen und geben, gerade wie es der Stimmung entsprach. Ich denke diese experimentelle Freiheit habe ich mir bewahrt. Ich denke was blieb ist, daß ich Flamboyant sein kann, wann immer ich mag, ob im Sound oder als Ästhetik. Eine Freiheit die ich bei Malcolm McLaren oder Siouxsie and the Banshees fand.“



Eine unwillkürliche Assoziation erinnert an das (noch nicht sehr neu romantische) Debüt-Album von Siouxsie and the Banshees: „The Scream“. Ein monolithisches Manifest, so eingebunden wie fremd in seiner Welt des Jahres 1978. Ein eigener, anfangs gleichförmig scheinender und sich dann zusehends öffnender Kosmos, so wie FKA twigs nun erscheinendes erstes Album. Das Young Turks Label (zu Geld gekommen mit der Band The XX) lies ihr den Freiraum, den eine große Plattenfirma einer junge Frau mit ihrer Stimme und Charisma nie zugestanden hätte. Man denke an ein vergleichbares Internet Phänomen, die Sängerin und Rapperin Azealia Banks. Nach ihrem Stück „212“ anno 2011 wie wild umworben, unterschrieb sie bei Universal Music. Die Veröffentlichung eines Albums wurde dann nahezu zwei Jahre hinausgezögert, sicher begleitet von endlosen Meetings zu Stilfragen und Hitpotenzial. Am 11. Juli diesen Jahres verkündete die Künsterin, ihr Vertrag sei aufgelöst und sie endlich frei.



Das Neue an Azealia Banks Stil war eine Referenz an die ganz frühen 90er, die Kultur des Vogueing und den kurzlebigen Stil Hip-House. Darüberhinaus präsentierte sie sich nicht so fern der stereotypen Bling Bling Kultur des R&B. Anders FKA twigs. Mag es an der seit jeher größeren Offenheit britischer Pop-Kultur liegen, am Identitätenspiel der New Romantics oder am Rolemodel jener Szene, der sehr jungen und nicht weniger eigensinnigen Annabella Lwin, einst Sängerin der Band Bow Wow Wow, deren Look FKA twigs als Teenie revivalte. Eine Prägung jenseits der Welt aus Gucci Accessoires, eher dem verbunden, was New Romantic Veteranen veranlasste, einen Blog mit Photos aus alten Tagen „The Dangers of going home“ zu betiteln. „Oh, ja! Das stimmt genau! Ich lebte im Süden von London. Meine Freunde und ich gerieten oft in Auseinandersetzungen, ich bin dann in den Kiosk an der Ecke geflohen und der Besitzer eskortierte mich heim, wenn ich verfolgt wurde. Am Ende zeigt es nur, ob Du die Intoleranz der Anderen ertragen kannst.“



Solch ein Leben kennt andere Statements des Selbst, als sie der R&B in den vergangenen Jahren zu bieten hatte. Nicht die Toughness der jungen Frau, die sich alles selber kaufen kann, nichts, was sich so einfach etikettieren liesse, dafür eine neuer Sound: Das hat mitunter fast was irres, da scheint es mir, als gäbe es eine unendliche Kraft in der Musik, aber das muss ich nicht proklamieren, in dem ich davon singe, wie unabhängig ich doch sei. Ich denke es ist offensichtlich das ich ein starkes Mädchen, na, fast Frau, bin. Ich schreibe meine Stücke, produziere sie und bin der Regisseur meiner Videos und ich habe meinen eigenen Stil geschaffen. Ich fühle mich auf eine ruhige Art sehr selbstbewusst in dem, was ich mache, aber ich denke Verletzlichkeit ist sexy. In dem Moment, in dem Du sie zugibst, zeigst Du zugleich Stärke.“



So macht es ihr nichts, sich als Lernende zu beschreiben, die von der Zusammenarbeit mit Leuten wie mit dem hippen venezolanischen Produzenten Arca und ihrem Labelkollegen Sampha profitiert und jeden Tag Neues in den Möglichkeiten der Software Ableton entdeckt. Sie weiss, dieses Album ist ein Statement. Aber eines in den Regeln von Pop, nicht denen der Universität oder der Politik. So kreist man um diese sonische Fragilität, um das was sie andeutet und nicht explizit sagen mag. Ein Leichtes, sie in ihrem Nicht-Entsprechen anzugreifen, ihr die Ambivalenz der Videos oder die Passivität in manchen Texten vorzuhalten. Doch genau das ist Pop: Er überwindet dogmatische Zuschreibungen, rüttelt an Identitäten und versetzt Grenzen. Dabei ist sie nicht ganz allein, man findet das Zerbrechliche im Sound des Projekts Paco Sala und das Düstere beim kanadischen Duo Evy Jane, Spuren sogar im weit rustikaleren R&B der kalifornischen Chart-Hoffnung Banks.



Doch lange keine Musik mehr gehört, die so wenig passt, sich Genres entzieht und so das Herz der Popmusik schlagen lässt: das Recht, auf sich selbst, das Recht, nicht zu passen. FKA twigs erfindet sich, wir hören und schauen ihr zu, vielleicht erweitert sie dabei sogar ein wenig unsere eigene Welt.