Mittwoch, 29. Januar 2014

Das Wort und die Axt - Pete Seeger 1965

Er spürte was kommen würde. Und so schwang Pete Seeger die Axt. Wie wütend muss er ausgesehen haben und wie verzweifelt, als er 1965 auf dem Newport Folk Festival die Leitung zum Gitarrenverstärker Bob Dylans kappen wollte. Allein, er wollte nur, denn wie jeder andere auf dem Newport Folk Festival, trug auch er kein Beil mit sich herum. Er machte vielmehr wohl nur einen zornigen Kommentar, in Anlehnung an sein eigenes Stück „If I had a hammer“.

Es war Dylans erster und daher bald legendärer Auftritt im neuen Sound. Bis heute spekulieren die Zeitzeugen und Historiker, wer, aus welchen Gründen buhte, auch das gehört zum Mythos, wenngleich die Buhrufe tatsächlich überliefert sind. Denn auch Andere, im Publikum, aber auch Musiker wie der große britische Folk Sänger Ewan McColl, kritisierten Dylan für seinen neuen musikalischen Kurs, sowie jene, die ihm zujubelten. „Nourished on the watery pap of pop music“, schrieb McColl über die in seinen Augen komplett unkritischen Fans. Nicht nur Seeger verstand den Moment. Aber es ist nicht von ungefähr, daß er zum Symbol dieser Trennung wurde, eine Trennung, die keines Beilhiebs bedurfte. Später war es ihm unangenehm. Er sagte, er habe sich nur daran gestört, daß man Dylans Stimme nicht mehr hören konnte. Es ist nicht schmeichelhaft, wenn Andere, wie Peter Yarrow oder Joe Boyd seine Version revidierten, sich aber stets mit einem gewissen Respekt zurückhielten, während sie die tatsächlichen Umstände andeuteten, nicht schmeichelhaft auch für sie selbst. Andererseits: sie waren alle für eine andere Welt und diese Welt schien vielen auf einmal greifbar, ohne Krieg, sondern mit der Energie, welche die Beatles freisetzten. Verständlich, daß Dylan daran teilhaben wollte. Aber dieser neue Sound war eben nicht alleine Mittel zum Zweck, sondern das Medium war die Nachricht: elektrisierend.

Pete Seeger hatte allen Grund zum Zweifel. Er hatte für die kommunistische Bewegung in den USA gekämpft, für streikende Arbeiter und Kriegsgegner, war ausgegrenzt und gar verfolgt worden, selbst als Patriot im Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland. Da sangen er und Woody Guthrie mit ihrer Band, den Almanac Singers „Round and Round Hitler’s Grave“, doch die Rechten in den USA wähnten sogar hier Unterwanderung. Als Woody Guthrie 1943 „This machine kills fascists“ auf seine Gitarre schieb, nahm er rebellische Pop Posen um zwei Jahrzehnte vorweg. Nur, für ihn war es keine Pose, wenngleich er mit seiner Gitarre wahrscheinlich keinen einzigen Faschisten getötet haben wird, so war sie eben doch eine Maschine, ein Werkzeug. Und ein Song war eine Ansammlung von Werkzeugen, ein Apparat, der das Denken verändern sollte. Daß dieser Apparat auch die Sinne, den Wunsch, Lieder mitzusingen oder gar zum Klang der Musik eine gute Zeit zu haben, miteinschloss, war bekannt. Die darin verborgenen Widersprüche wusste der karge und klassizistische Folk jener Tage gut vor sich selber zu verbergen. Die emotionale Wirkung, sie wurde verstanden, gesucht und gefürchtet zugleich.

Aber die hieraus resultierende Zurückhaltung verging nun, nach den Beatles oder präziser, als das gefeiertste Talent einer neuen Generation des Folks, einer der Jungen, welche die Fackel weitertragen sollten, überlief. Nicht allein zu einer neuen Generation von Maschinen, sondern auch zu dem, was sie verhiessen: den großen Spaß und vor allem: das große Ich!

Man kann darüber debattieren, ob Pete Seegers Ich nicht auch groß genug war, denn seine Popstarkarriere wurde 1953 jäh unterbrochen, nachdem er 1950 mit den Weavers schon wochenlang an der Spitze der Charts verbracht hatte. Der Staat war gegen ihn, die großen Radiostationen spielten seine Musik nicht mehr und die Weavers waren bald am Ende. Um so bekannt zu sein, wie er war, musste Seeger bereits in das Popgeschäft, auch wenn er den Folksong als etwas begriff, was man zusammen singen sollte um ihn am Leben zu erhalten, zu erneuern und vor allem, um Gemeinschaft zu schaffen. Doch er misstraute der Popwelt, trennte sich von den Weavers, weil diese wohl bereit waren, für einen Zigarettenspot zu musizieren. Pop, das Radio und die Platten machten den Weg zu einer besseren Welt nicht weniger zäh.

Tatsächlich glaube ich, daß der in Newport wütende Seeger dies so sah. Vielleicht war es nicht der Lärm der neuen Musik, sondern die Tatsache, daß es den Musikern offenbar auch gefiel, daß man ihr Wort nicht mehr verstand. Gut, das traf nicht auf Dylan zu, der selber mit dem Klang in Newport unzufrieden schien, aber vielleicht war es der Sound dieser elektrifizierten Pop Musik, welche nun auch die Idee der Revolution an sich riss. Es stand nicht mehr die Kraft einer kargen, aber aufrichtigen und mitunter auch mitreissenden  Folkmusik gegen den süßlichen Schein ausarrangierter Traumweltlieder, sondern ein enormes Rauschen und Brummen zu einem treibenden Beat übertönte energetisch die Stimme dessen, der was zu sagen hatte. Und die neuen Stimmen, was sagen sie? - Ich, ich, ich!

Das schlechte Gewissen mag Seeger gepackt haben, da diese Stimmen bald auch von der Revolution kündeten und mehr junge Menschen ein neues Leben wagten, als er sie je erreichen konnte. Doch eigentlich hatte er Recht und er wusste es auch, wenn er in späteren Jahren vor allem den ganz jungen Dylan wertschätzte, denn das Ich! war nicht mehr aus der Musik wegzubekommen. Die alte Distanz, die klingende Nachricht, die Stimme, welche den Klassenkampf trägt, wurde innerhalb weniger Jahre zu einem „Dancer in the dark“. Nun ist Pete Seeger nicht mehr unter uns. Er war der letzte Zeuge dieser Welt vor der Machtübernahme des Pop. Er wusste sehr wohl, was Menschen bewegte, er berichtete Baynard Woods vom „City Paper“ noch im letzten Jahr über seinen Einfall, ein Lied über Harmonien von Beethovens siebenter Symphonie zu singen und wie die Harmonien ihn an Slawische Lieder erinnerten. Was die Kraft der Musik sei, daß sei ihm immer noch rätselhaft, meinte er einige Jahre zuvor. Daß ihre Energie aber etwas bewirken kann, dafür lebte er. Wie diese Energie die Ziele der Kultur, die er vertrat und die er in Newport versammelt wusste, zerstören kann, das wird er 1965 verstanden haben, als er hörte, wie der Sound das Wort ablöste.


In Memoriam Peter "Pete" Seeger *3. Mai 1919 † 27. Januar 2014.

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