Montag, 3. Januar 2011

Letztes Jahr - Musikliste 2010

Diesmal zeitig, nachdem ich heute bemerkt habe, daß sie eh schon seit einiger Zeit an anderem Ort im Net zu sehen sind. 2010 Jahr des Abschieds von der Geschmackssicherheit oder: Lieber Spaß als Gähnen. OK, als alleiniges Motto kann das nun für die Charts auch nicht gelten. Es gab ein paar interessante Veröffentlichungen aus unerwarteten Ecken und auch mal wieder etwas Leben zu finden, aber ich befürchte, daß es dennoch keine der Nennungen in eine Top 20 des Jahres 1980 gebracht hätte.

LP's:
1. Merle Haggard - I am what I am
Die Inspiration im Alter, entspannter als Duke Ellington, ernster als John Hartford, diesen Beiden verwandt und auf diese Weise Country-Jazz in ungehörter neuer Größe. Überraschende Einsichten in die Musik.
2. Diverse - Bangs & Works Vol. 1 (A Chicago Footwork Compilation)
Rasselndes Schweben in extrem kurzen unweltlichen Episoden. Noch nie zuvor gehört. Überraschung des Jahres in der angewandten Elektronik.
3. 7 Walkers - 7 Walkers
Überraschung des Jahres der Alten und Mittelalten: Hebt die gesamte Jam-Band Bewegung auf ein neues Niveau.
4. Warpaint - The Fool
Überraschung des Jahres der Jungen. Wie sie sich Zeit lassen, explorieren, Harmonien finden und den Ettikettierungen entkommen! Lang nicht mehr so von einer Band so begeistert.
5. Julie Slick - Julie Slick
Instrumentalmusik im Sinne der SST Platten um 1988, weitergedacht und dank dieser Bassistin von gruseligen "ismen" befreit. Progressive Überraschung des Jahres.
Singles:
1. Sade - Soldier of Love
2. Factory Floor - A wooden Box
3. Eisenfunk - Pong
4. Javiera Mena - Hasta la Verdad
5. Rox - Rocksteady
6. Noisuf-X - Deutschland braucht Bewegung
7. Cults - Go outside
8. Gil Scott-Heron - Me and the Devil
9. Lady Gaga featuring Beyoncé - Telephone
10. Cologne Tape - Render
11. Effi Briest - Long Shadow
12. Reaper - Robuste Maschine
13. Karen Elson - The Ghost who walks
14. Zinc featuring Ms. Dynamite - Wile out
15. Sweet Billy Pilgrim - Future Perfect Tense

Ach, ja der Blick zurück: Ich finde, Bat for Lashes - Daniel war schon das tollste Stück 2009 und ich kann mich kaum mehr an eines der in meinen damaligen Single Charts genannten Deep House Stücke erinnern. Dieses Jahr fehlen sie ganz - bin ich das oder ist der einstige Glanz einer Routine gewichen? ... Mal sehen, was ich von dieser Liste in den kommenden Monate revidiere und verschiebe. Komische Sache, das mit den Listen, aber irgendwie erscheinen sie mir über die vielen Jahre hinweg als eine der besten Erinnerungsquellen, zugegeben, durchaus mit Tagebuchcharakter. Und ja, der Vergleich einzelner Jahre mag auch tatsächlich Einsichten in musikalische Entwicklungen aufzeigen die über die persönlichen Werturteile hinausgehen.

Samstag, 1. Januar 2011

Teena Marie 1956 - 2010


Vor einigen Jahren durfte ich einige Zeit mit dem letzten Arrangeur der großen Zeit bei Philadelphia International, Larry Gold, ein Gespräch führen. Ich fragte ihn nach Laura Nyro, die ihr wundervolles Album "Gonna take a miracle" in den Philly Studios aufgenommen hatte. Immer noch etwas befremdet erzählte er von diesem jungen Mädchen, welches darauf bestand die Arrangements selber zu schreiben und das Orchester zu dirigieren und weit mehr Takes zu verlangen, als man dies in der Hitfabrik gewöhnlich zuliess.

In vieler Hinsicht war für mich Teena Marie die Persönlichkeit, welche all das, was Singer Songwriterinnen der Hippiezeit für sich eingefordert und geschaffen hatten, in den R&B trug. Ähnlich Kate Bush in ihrer Welt war sie die Vertreterin einer jüngeren Generation, konfrontiert mit den selben Problemen, welche Selbstbewusstsein und eine genaue Idee des eigenen künstlerischen Anspruchs in der Plattenindustrie mit sich bringen können; erst recht für eine Frau und im Falle Teena Maries muss man seltsamerweise hinzufügen: insbesondere für eine Frau weisser Hautfarbe.

Die 1956 in Santa Monica geborene Kalifornierin, Tochter portugiesischer Vorfahren, erzählte häufig in Interviews von ihrem Aufwachsen mit R&B und Soul. Sie wuchs unweit jener Ecke L.A.'s auf, die man "Venice Harlem" nannte, fand dort viele ihrer Freunde. Dafür musste sie sich, zurück im heimischen Viertel "Nigger lover" nennen lassen. Daß sie zudem einen guten Teil ihrer Kindheit und Jugend vor dem Radio verbrachte, hörte man ihrer Musik an, nicht wenige Stücke enthielten kenntnisreiche Zitate und ihre kompositorischen Finessen verwiesen nur auf die besten Lehrmeister.

Ähnlich Van Dyke Parks oder Tim Buckley begann sie im Kindesalter als Schauspielerin, und erzählte später, dort gelernt zu haben, daß man keinem Andern die eigenen Entscheidungen überlassen dürfte. Als die 20 jährige einen Vertrag mit Motown unterschrieb, ahnte ihr Label noch nicht, daß es ihr mit dieser Einsicht sehr ernst war. Es dauerte einige Zeit, bis zu ihrer ersten Veröffentlichung. Eine künstlerische Zusammenarbeit mit Rick James öffnete offenbar Türen, die ihr bis dahin verschlossen waren, da sich Black Music in Zeiten der Politisierung von Künstlern mit weisser Hautfarbe abgrenzte. So widerfuhr es ihr, wie anderswo schwarzen Rockmusikern: ihre erste LP erschien ohne ein Bild von ihr auf der Coverfront. Das extrem photogene Mädchen sollte sich hinter seinem Gesang verstecken und gelangte nahezu als trojanisches Pferd auf die Playlists schwarzer Stationen. Denn Teena Maries kräftige Stimme war die einer Soulsängerin, Blue Notes traf sie spielend, nie klang auch nur eine Phrasierung angestrengt und dies in einer Weise, die sie tatsächlich dem Popmarkt kaum vermittelbar machte. Marie hatte nur einen einzigen US-Pophit, ansonsten war sie in ihrer gesamten Karriere allein in den R&B Charts erfolgreich. Was auch heißt, daß niemand ihr oder Motown den Schachzug übel nahm. Nelson George schrieb in "The Death of Rhythm & Blues" wie viele schwarze Radiostationen sie auch zu Zeiten deutlichster Abgrenzung explizit als einzige, nicht-schwarze Künstlerin spielten.

Zwischen epischem Soul, und vor allem inspirierten Disco-Funk Tanzstücken entwickelte Marie bald eine Stilistik komplexer Arrangements, über welche ihre mal aggressive dann wieder schmachtende Stimme Akzente setzte. Auf ihrem Debüt hatte ihr Duett mit Rick James "I'm just a sucker for your love" das gößte Hitpotential und war zudem das Outing einer langen und oftmals wohl sehr dramatischen Beziehung. Auf den kommenden Platten schuf sie weitere Tanzflächenklassiker: "I need your lovin'", "Square biz", "It must be magic" oder "Behind the Groove", letzteres brachte ihre Musik nach Europa und in die britischen Top 10. Schon ihre ersten Alben wurden in den USA mit Gold ausgezeichnet und daß, ähnlich wie die Platten von Maze und Cameo, ohne einen nennenswerten Anteil weisser Käufer. Lies sie ihre zweite LP "Lady T" noch von Minnie Ripertons Witwer Richard Rudolph produzieren, entstand der Nachfolger "Irons in the fire" bereits fast vollständig in Eigenregie. Trotz des Erfolgs lag eine solche Unabhängigkeit nicht in Motowns Interesse zumal Marie sich anschickte ihre Alben als Liederzyklen zu begreifen, kunstvolle Gesamtwerke, die neben potentiellen Hits Sprachstücke und epische Explorationen beinhalteten. Als es zum Streit um Veröffentlichungen kam, zog sie vor Gericht. Das in mit ihrem bürgerlichen Namen als "The Brockert Initiative" bekannt gewordene Urteil hinderte in den folgenden Jahren auch andere Label daran, einen Künstler unter Vertrag zu halten die Veröffentlichung seiner Arbeit aber zu verweigern.

Ihre erste Platte für ihr neues Label "Epic" zeigte, was Motown zu weit gegangen sein mag, Marie experimentierte nun mit Rock und Latin und Jazz. Auf der Coverrückseite las es sich wie früher bei Laura Nyro: "Written, arranged and produced by Teena Marie". In den folgenden Jahren spielte sie mit den aktuellsten Entwicklungen der Sounds und Technik, war stets auf einer Augenhöhe mit Prince, fügte psychedelische Elemente oder komplette elektronische Passagen in ihre Musik, sowie immer häufiger sozio-politische Kommentare in ihre Texte. Alle neun Alben die sie bis 1990, inklusive des HipHop geprägten "Ivory", aufnahm sind des Hörens wert und erscheinen heute als ungehobene Schätze eines mitunter auch exzentrischen Selbstverständnisses und dem Können für große Gesten.

Marie litt am Tode Minnie Ripertons, widmete ihr Stücke, so auch in "Opus III" auf "Naked to the world". Infolge eines Bühnensturzes 1988, just zu der Zeit als "Oh la la la " sich zu ihrem einzigen Pop Hit aufmachte, endete sie für Monate im Krankenhaus. Seltsamerweise wurde es nach dem Hit zusehends stiller um sie. Allein eine Veröffentlichung auf einem Indie Label spielte sie während der 90er ein, erst 2004 gelang ihr das Comeback. Die jüngere R&B Szene zollte ihr nun Tribut und Marie fand sich umgeben von neuen Fans. Im letzten Jahr erschien ihre Huldigung an New Orleans "Congo Square", es wird ihre letzte Platte bleiben. Teena Marie starb am 26.12.2010 im Schlaf, sie hinterlässt eine Tochter.