Donnerstag, 1. September 2011

Heute vor fünf Jahren (Spex 300 revisited)

Ich glaube, ich bin ein langsamer Mensch und gewisse Themen bleiben mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit bei mir oder sie brauchen schlichtweg ihre Zeit um einzusickern, das Denken zu verändern und rückwärts durch die Strukturen hindurch Änderungen auszuführen. Es waren ein paar aktuelle Anlässe, Fragen zum Schreiben über Musik, welche mich an den Text erinnerten doch was genau drin stand, hatte ich längst in weiten Teilen vergessen. Vielleicht zu recht. Doch ich mag auch den Gedanken an diese späte Zeit des Kölner Musikschreibens in der noch mal so viel möglich war und es in der Regel kaum jemand bemerkte. Der ungehörte Pathos erspart Handschütteln und Ohrwatschen gleichermaßen, mag man denken, aber eigentlich war es viel besser: Es war die Zeit, in welcher der Pathos gänzlich abgeschafft wurde und das "Egal" einem mit nüchterner Macht eine angenehme Bescheidenheit beibrachte. Gelernt ist diese Lektion noch nicht zur Gänze, bin halt langsam, wie erwähnt.


Manierismus in der Rockkritik

Überlange schlanke Finger schreiben gezirkelte Worte auf billiges Papier, sie umfassen den Füllfederhalter als wären ihre Knochen aus Gummi.

Alles Quatsch! - Denn als Zweifel und Perspektivverschiebungen die Rock-Kritik erfassten, saßen axelschweissige Bartträger an klappernden Schreibmaschinen.

Eine Rock Kritik, die ihre Funktion nicht darauf beschränken wollte, Sprüche eines Radio DJ's über die "neueste heisse Scheibe von" auf Papier zu bannen, hatte Literatur- wie vor allem Jazzkritik als Leitfaden. Was der US-Amerikanische Rolling Stone und bald darauf Creem dann an Stilen, Betrachtungsweisen und Positionen anbot, beschrieb den Kosmos einigermaßen flinker Ex-Studenten (was sich bis heute nicht großartig geändert hat) die überhaupt erst dank der Beatles und Bob Dylan auf die Idee kamen, daß sich eine detaillierte und ihr Sujet ernst nehmende Auseinandersetzung mit Rock Musik lohnte. Was dann möglich wurde, muß für eine kurze Zeit so geil und pubertär gewesen sein, da musste jeder gelungene Satz ein freches Grinsen beinhalten, schrieb man doch noch gegen eine Öffentlichkeit, denn die populäre Musik entsprach nicht dem kulturjournalistischen Jargon. Es war noch ein weiter Weg bis ins Feuilleton.

Die frühe avancierte Rockkritik wähnte sich inmitten eines goldenen Zeitalters. Was wartete hinter der nächsten Ecke, neue tolle Nachrichten von Dylan an die Welt, der Aufbruch nach der Psychedelischen Phase? - Doch es wartete der Tod. Das Altamont Rockfestival hinterließ eine Blutspur und öffnete den Blick in die Schattenwelt der neuen Errungenschaften. Als Langdon Winner in seinem Essay "the strange death of Rock'n'Roll" den Impuls der Beatles für eine neue US-Amerikanische Rockmusik pries und von einer Musik träumte, die alle Töne und Bilder seines Landes mit einschließen könnte, sickerte das Bild des Authentischen und der abbildenden Funktion in die Rock-Rezeption. Ideen aus Sturm und Drang, Klassik und Romantik tanzten so leidenschaftlich wie unbeholfen durcheinander, als müsste das Schreiben stets formales Zeugnis des Hippie Human-Be-Ins ablegen. Doch für das gab es im Jahr 1967 nur verzücktes Gestammel.

Greil Marcus und Lester Bangs waren wahrscheinlich von der Brutalität in Altamont weit weniger überrascht als viele Andere, doch in der Folge finden beide einen neuen Ton, eine Sprache des Verunsicherten der nicht mehr an die Funktionalität der gewohnten Realität glaubt. Der Kunsthistoriker Gustav René Hocke sah in seinem Buch "Die Welt als Labyrinth" eine derartige Situation erstmals circa 1520, interessanterweise dadurch gekennzeichnet, daß das Wort "Modern" Bedeutung erlangt. Darin liegt ein Sich-Abwenden von der in scheinbarer Sicherheit und Klarheit verwurzelten Renaissance. Er beschreibt die Sprache des Manierismus als "bewusst Anti-Klassische Ausdrucksformen". Mit Klassik kontrastiert, verdeutlicht er den Manierismus: "Die Klassik will das "Verborgene" des Mysteriums in der "Verständlichen" nur "sublimierten" Natur zur Darstellung, der Manierismus will das "Verborgene" in einer "emblematischen", in der "Idee" meist "deformierten" Natur zur Wirkung bringen", so Hocke im genannten Werk. - Das Objekt des Manierismus ist der Spiegel. Parmagianino malte seine Antlitz in einem gewölbten Spiegel, verschobene Formen, kennzeichnen das Werk. Der Zweifel an der Gültigkeit der Sichtweise, an der Unveränderlichkeit der Proportionen und eine Konzentration auf vormals unwichtige Details werden zentral, zudem beginnt der Siegeszug des Subjekts, das Ich spiegelt sich oder es spiegelt die Welt in sich. Da wären wir beim Rezensenten.

1971 begann Lester Bangs Winners Klassizismus auf den Kopf zu stellen und erkannte sich selbst im Feedback einer Freiheit, welche die Freude am Geräusch des Teenie Rocks mit den Velvets und dem Free Jazz Ornette Colemans verband, verwirklicht im Werk der Stooges. Dabei beschrieb er den Blick eines Individuums, eines unzufriedenen und zugleich zutiefst erfüllten Suchenden Menschen. Diese individualisierte Perspektive, Jahre später ein einem Text über Van Morrisons Astral Weeks zu einer bewegenden Innenwelt-Reise verdichtet, war Bangs große Neuerung. Sein "Ich" stand nicht als Ausrede für fehlendes Wissen, sondern als starke und zugleich hochverletzliche Position. Er war allein und Iggys gewundene Ballerina-Aggression sprach zu ihm.

Greil Marcus glaubte nicht an eine Klarheit, die sich aus der Beschäftigung mit historischen Fakten einstellen könnte, er glaubte an den Mythos und seine Spuren in einer Nation von (Tag-)Träumen. In seinem Buch "Mystery Train" setzt er Schlaglichter, welche den Mythos kurz erhellen und Momente preisgeben die er durchaus als kollektive Erfahrungen beschreibt. Eine Ausführliche, jedem Detail eine Bedeutung zuweisende Beschreibung des ellenlangen Intros von "Papa was a Rolling Stone" der Temptations führt er fort: "Ich kannte mehrere Leute, die am Straßenrand hielten und zitternd und abwartend dasaßen, während der Song aus den Lautsprechern kroch und die Nacht erfüllte." - Pathetischer Manierismus: Die Begegnung mit dem Song der Temptations wird zum Blick in ein Mikroskop für Empfindungen. Wenige Sekunden eines Songs blühen in seiner Beobachtung auf, als eine komplette soziale Sachverhalte beschreibende Kunst. Er war ja klug genug, die Bilder Amerikas in der Rockmusik als Mythen zu begreifen (auch eine Abkehr von Langdon Winner). Der Blick auf die "Basement Tapes", jene verstörenden Privat-Aufnahmen, die Bob Dylan und The Band 1967 entgegen aller Klänge der Zeit einspielten und die in Auszügen erst 1975 veröffentlicht wurden. "Ihre Musik war auf eine Weise gestaltet, die einen Weg zurück ins innere Amerika wies, und es funktionierte", schreibt er über die Band und zeigt, wie ein vermeintlich klassischer Ansatz, der sich auf Traditionen beruft, in eine Subjektivität führt.

Zu diesen Positionen addieren sich die von Außenseitern, etwa jene J.R. Youngs. Wie Arcimboldo Menschen als Assemblage aus Früchten und Ernteerzeugnissen portraitierte, so schrieb Young, statt Rezensionen in den bekannten formalen Techniken, Geschichten. Gut möglich, daß diese Form nicht auf ihn zurückgeht, aber er perfektioniert den Stil im Rolling Stone ab 1969. Eine ellenlange Rezension von Crosby, Stills, Nash & Youngs "Deja vu" entpuppt sich als ein Gespräch zweier hipper Bay Area Plattenverkäufer über Musik, Drogen, Kalkulation und das Ende des Hippie-Traums. Ein wütender Leserbrief fragt, wieso dieser Mist neben Langdon Winners (!) legitimer Rezension abgedruckt wurde. Der Rockhörer ist erstmal kein Freund des Manierismus, er wünscht oftmals Produktinformation und klare Wertungen.

In Deutschland bekommen Hans Keller und Ingeborg Schober entsprechende Watschen ab. Sie schreiben in der Sounds (die sich auch erst durchringen musste, neben Jazz auch Rock zu behandeln, dann aber zum wichtigsten Musik-Magazin der 70er wurde) über Glam-Rock und finden ihn gut, wie auch der schillernd selbstverliebt schreibende Yves Adrien in Paris. Dandyismus fußt auf manieristischem Zweifel und Subjektlust, sein Pop-Schauplatz war Glam und bald Punk. Da steht dann Keller als Titelheld (!) in Lederjacke auf der ersten Punk thematisierenden Sounds und zieht ein Gesicht *. Nach New York führt ihn bald die Szene um Lydia Lunch, doch dann entdeckt er dort den ganz frühen Rap, zurück in Europa fasziniert ihn Italo-Disco, es kommt zu einem legendären Spex Artikel. In einem weiteren zelebriert er sich selbst - zurecht, hatte er doch etwas zu sagen über Wandlung und wache Wahrnehmung.

Das "Ich" wurde ab Punk die zentrale Figur der Pop-Rezension. In England schreibt Paul Morley für den NME und seine an französischer Theorie, Nouvelle Vague Kino und deutschen Autorenfilm geschulte Sichtweise führt zu einer nomadischen Sprache, er schaut vorbei, findet, betrachtet feine, scharfe Kanten bei Joy Division oder Ludus und fordert bald Pop, als geschwätzige Basis für große Gesten. Den stilistischen Experimenten des frühen Morley entsprechen Harald in Hülsens Rezensionen im Musik Express voller "///" als handele es sich dabei um postmoderne Rimbaud Übersetzungen. Den Pop Morleys übertrumpft hierzulande Andreas Banaski alias Kid P. - Er beherrscht Julie Burchills Polemik und seine Subjektivität bedeutet Einblick in das Privatleben des Kid P. - eine in Wikipedia auf ihn verfasste Hymne berichtet auch von den Folgen seiner Perspektive für die kommende Popliteratur. Die übernimmt seinen Stil des bösen, indiskreten Kommentars, der Ich-Erzählung und des Glaubens an die Größe von Pop und übersieht etwas, was einem wiederum Hocke erklären kann: "Die Gefahr der Klassik ist die Erstarrung, diejenige des Manierismus die Auflösung" und weiter: "Manierismus ohne Klassik als Wiederstand wird Manieriertheit." - Tatsächlich kannte Kid P. (wie auch alle anderen hier erwähnten) ihr Sujet, sie verfügten über eine durchaus "klassische" Popbildung (Banaski schrieb später im Sinne einer Klassik, die ihr Scheitern am HipHop mit Goethe argumentiert) und waren in der Lage den Spiegel in beide Richtungen zu benutzen. Klare und deutliche Urteile verliefen nicht in subjektive Geschmäcklerei oder reines Fantum, denn jene noch so eindeutige Aussage bezog sich auf ein zweifelndes, anti-authentizistisches Denken.

Das fehlt heute dem Intro-Ich und der Irgendwie-Rezension. Wenn es schon einen Standpunkt gibt, so wird er als Sicher geglaubt und da der Einsatz so lächerlich gering ist, muss sich kein Zweifel erheben. Ein Spiel um nichts.

Der Niederländer Roel Bentz van den Berg verkörpert einen Greil Marcus geschulten pathetischen Individualismus., Sein Luxus waren Texte über einen einzigen Song seiner Wahl, die er für das NRC-Handelsblad schreiben durfte und die ähnlich der Seitenlangen frühen Rolling Stone Rezensionen, dort Raum für Detailansichten boten. Sein verdichtender Blick (der mir beispielsweise Neil Youngs "Cortez the Killer" erklärte) deutet auf ein weiteres Detail: die Aufmerksamkeit oder einfach Fähigkeit, kleine Dinge wahrzunehmen und Worte dafür zu finden. Damit könnte auch eine individualisierte Rezension einen Gewinn bringen, nur schreibt die sich nicht mal eben so runter.

Oliver Tepel

[Erschienen in Spex Nr. 300 - September 2006]

* Später stellt Hans Keller in einem Leserbrief klar, daß nicht er sondern der Sänger der Punk und Comedy Rockband Alberto y Lost Trios Paranoias der Titelheld besagter Sounds Ausgabe war.

Montag, 3. Januar 2011

Letztes Jahr - Musikliste 2010

Diesmal zeitig, nachdem ich heute bemerkt habe, daß sie eh schon seit einiger Zeit an anderem Ort im Net zu sehen sind. 2010 Jahr des Abschieds von der Geschmackssicherheit oder: Lieber Spaß als Gähnen. OK, als alleiniges Motto kann das nun für die Charts auch nicht gelten. Es gab ein paar interessante Veröffentlichungen aus unerwarteten Ecken und auch mal wieder etwas Leben zu finden, aber ich befürchte, daß es dennoch keine der Nennungen in eine Top 20 des Jahres 1980 gebracht hätte.

LP's:
1. Merle Haggard - I am what I am
Die Inspiration im Alter, entspannter als Duke Ellington, ernster als John Hartford, diesen Beiden verwandt und auf diese Weise Country-Jazz in ungehörter neuer Größe. Überraschende Einsichten in die Musik.
2. Diverse - Bangs & Works Vol. 1 (A Chicago Footwork Compilation)
Rasselndes Schweben in extrem kurzen unweltlichen Episoden. Noch nie zuvor gehört. Überraschung des Jahres in der angewandten Elektronik.
3. 7 Walkers - 7 Walkers
Überraschung des Jahres der Alten und Mittelalten: Hebt die gesamte Jam-Band Bewegung auf ein neues Niveau.
4. Warpaint - The Fool
Überraschung des Jahres der Jungen. Wie sie sich Zeit lassen, explorieren, Harmonien finden und den Ettikettierungen entkommen! Lang nicht mehr so von einer Band so begeistert.
5. Julie Slick - Julie Slick
Instrumentalmusik im Sinne der SST Platten um 1988, weitergedacht und dank dieser Bassistin von gruseligen "ismen" befreit. Progressive Überraschung des Jahres.
Singles:
1. Sade - Soldier of Love
2. Factory Floor - A wooden Box
3. Eisenfunk - Pong
4. Javiera Mena - Hasta la Verdad
5. Rox - Rocksteady
6. Noisuf-X - Deutschland braucht Bewegung
7. Cults - Go outside
8. Gil Scott-Heron - Me and the Devil
9. Lady Gaga featuring Beyoncé - Telephone
10. Cologne Tape - Render
11. Effi Briest - Long Shadow
12. Reaper - Robuste Maschine
13. Karen Elson - The Ghost who walks
14. Zinc featuring Ms. Dynamite - Wile out
15. Sweet Billy Pilgrim - Future Perfect Tense

Ach, ja der Blick zurück: Ich finde, Bat for Lashes - Daniel war schon das tollste Stück 2009 und ich kann mich kaum mehr an eines der in meinen damaligen Single Charts genannten Deep House Stücke erinnern. Dieses Jahr fehlen sie ganz - bin ich das oder ist der einstige Glanz einer Routine gewichen? ... Mal sehen, was ich von dieser Liste in den kommenden Monate revidiere und verschiebe. Komische Sache, das mit den Listen, aber irgendwie erscheinen sie mir über die vielen Jahre hinweg als eine der besten Erinnerungsquellen, zugegeben, durchaus mit Tagebuchcharakter. Und ja, der Vergleich einzelner Jahre mag auch tatsächlich Einsichten in musikalische Entwicklungen aufzeigen die über die persönlichen Werturteile hinausgehen.

Samstag, 1. Januar 2011

Teena Marie 1956 - 2010


Vor einigen Jahren durfte ich einige Zeit mit dem letzten Arrangeur der großen Zeit bei Philadelphia International, Larry Gold, ein Gespräch führen. Ich fragte ihn nach Laura Nyro, die ihr wundervolles Album "Gonna take a miracle" in den Philly Studios aufgenommen hatte. Immer noch etwas befremdet erzählte er von diesem jungen Mädchen, welches darauf bestand die Arrangements selber zu schreiben und das Orchester zu dirigieren und weit mehr Takes zu verlangen, als man dies in der Hitfabrik gewöhnlich zuliess.

In vieler Hinsicht war für mich Teena Marie die Persönlichkeit, welche all das, was Singer Songwriterinnen der Hippiezeit für sich eingefordert und geschaffen hatten, in den R&B trug. Ähnlich Kate Bush in ihrer Welt war sie die Vertreterin einer jüngeren Generation, konfrontiert mit den selben Problemen, welche Selbstbewusstsein und eine genaue Idee des eigenen künstlerischen Anspruchs in der Plattenindustrie mit sich bringen können; erst recht für eine Frau und im Falle Teena Maries muss man seltsamerweise hinzufügen: insbesondere für eine Frau weisser Hautfarbe.

Die 1956 in Santa Monica geborene Kalifornierin, Tochter portugiesischer Vorfahren, erzählte häufig in Interviews von ihrem Aufwachsen mit R&B und Soul. Sie wuchs unweit jener Ecke L.A.'s auf, die man "Venice Harlem" nannte, fand dort viele ihrer Freunde. Dafür musste sie sich, zurück im heimischen Viertel "Nigger lover" nennen lassen. Daß sie zudem einen guten Teil ihrer Kindheit und Jugend vor dem Radio verbrachte, hörte man ihrer Musik an, nicht wenige Stücke enthielten kenntnisreiche Zitate und ihre kompositorischen Finessen verwiesen nur auf die besten Lehrmeister.

Ähnlich Van Dyke Parks oder Tim Buckley begann sie im Kindesalter als Schauspielerin, und erzählte später, dort gelernt zu haben, daß man keinem Andern die eigenen Entscheidungen überlassen dürfte. Als die 20 jährige einen Vertrag mit Motown unterschrieb, ahnte ihr Label noch nicht, daß es ihr mit dieser Einsicht sehr ernst war. Es dauerte einige Zeit, bis zu ihrer ersten Veröffentlichung. Eine künstlerische Zusammenarbeit mit Rick James öffnete offenbar Türen, die ihr bis dahin verschlossen waren, da sich Black Music in Zeiten der Politisierung von Künstlern mit weisser Hautfarbe abgrenzte. So widerfuhr es ihr, wie anderswo schwarzen Rockmusikern: ihre erste LP erschien ohne ein Bild von ihr auf der Coverfront. Das extrem photogene Mädchen sollte sich hinter seinem Gesang verstecken und gelangte nahezu als trojanisches Pferd auf die Playlists schwarzer Stationen. Denn Teena Maries kräftige Stimme war die einer Soulsängerin, Blue Notes traf sie spielend, nie klang auch nur eine Phrasierung angestrengt und dies in einer Weise, die sie tatsächlich dem Popmarkt kaum vermittelbar machte. Marie hatte nur einen einzigen US-Pophit, ansonsten war sie in ihrer gesamten Karriere allein in den R&B Charts erfolgreich. Was auch heißt, daß niemand ihr oder Motown den Schachzug übel nahm. Nelson George schrieb in "The Death of Rhythm & Blues" wie viele schwarze Radiostationen sie auch zu Zeiten deutlichster Abgrenzung explizit als einzige, nicht-schwarze Künstlerin spielten.

Zwischen epischem Soul, und vor allem inspirierten Disco-Funk Tanzstücken entwickelte Marie bald eine Stilistik komplexer Arrangements, über welche ihre mal aggressive dann wieder schmachtende Stimme Akzente setzte. Auf ihrem Debüt hatte ihr Duett mit Rick James "I'm just a sucker for your love" das gößte Hitpotential und war zudem das Outing einer langen und oftmals wohl sehr dramatischen Beziehung. Auf den kommenden Platten schuf sie weitere Tanzflächenklassiker: "I need your lovin'", "Square biz", "It must be magic" oder "Behind the Groove", letzteres brachte ihre Musik nach Europa und in die britischen Top 10. Schon ihre ersten Alben wurden in den USA mit Gold ausgezeichnet und daß, ähnlich wie die Platten von Maze und Cameo, ohne einen nennenswerten Anteil weisser Käufer. Lies sie ihre zweite LP "Lady T" noch von Minnie Ripertons Witwer Richard Rudolph produzieren, entstand der Nachfolger "Irons in the fire" bereits fast vollständig in Eigenregie. Trotz des Erfolgs lag eine solche Unabhängigkeit nicht in Motowns Interesse zumal Marie sich anschickte ihre Alben als Liederzyklen zu begreifen, kunstvolle Gesamtwerke, die neben potentiellen Hits Sprachstücke und epische Explorationen beinhalteten. Als es zum Streit um Veröffentlichungen kam, zog sie vor Gericht. Das in mit ihrem bürgerlichen Namen als "The Brockert Initiative" bekannt gewordene Urteil hinderte in den folgenden Jahren auch andere Label daran, einen Künstler unter Vertrag zu halten die Veröffentlichung seiner Arbeit aber zu verweigern.

Ihre erste Platte für ihr neues Label "Epic" zeigte, was Motown zu weit gegangen sein mag, Marie experimentierte nun mit Rock und Latin und Jazz. Auf der Coverrückseite las es sich wie früher bei Laura Nyro: "Written, arranged and produced by Teena Marie". In den folgenden Jahren spielte sie mit den aktuellsten Entwicklungen der Sounds und Technik, war stets auf einer Augenhöhe mit Prince, fügte psychedelische Elemente oder komplette elektronische Passagen in ihre Musik, sowie immer häufiger sozio-politische Kommentare in ihre Texte. Alle neun Alben die sie bis 1990, inklusive des HipHop geprägten "Ivory", aufnahm sind des Hörens wert und erscheinen heute als ungehobene Schätze eines mitunter auch exzentrischen Selbstverständnisses und dem Können für große Gesten.

Marie litt am Tode Minnie Ripertons, widmete ihr Stücke, so auch in "Opus III" auf "Naked to the world". Infolge eines Bühnensturzes 1988, just zu der Zeit als "Oh la la la " sich zu ihrem einzigen Pop Hit aufmachte, endete sie für Monate im Krankenhaus. Seltsamerweise wurde es nach dem Hit zusehends stiller um sie. Allein eine Veröffentlichung auf einem Indie Label spielte sie während der 90er ein, erst 2004 gelang ihr das Comeback. Die jüngere R&B Szene zollte ihr nun Tribut und Marie fand sich umgeben von neuen Fans. Im letzten Jahr erschien ihre Huldigung an New Orleans "Congo Square", es wird ihre letzte Platte bleiben. Teena Marie starb am 26.12.2010 im Schlaf, sie hinterlässt eine Tochter.